Bildaufbau und -gestaltung, 02. Der Goldene Schnitt, I. Einführung
#1
[SIZE="6]2. Der Goldene Schnitt[/SIZE]
[SIZE="4]
Die Mitte liegt am Rand
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[SIZE="4]I) Einführung[/SIZE]


Hä... :roll: die Mitte liegt am Rand???

Hört sich erst mal ziemlich schwachsinnig an, ist aber so!

Warum, das klären wir ein bisschen ausführlicher, denn dem Goldenen Schnitt (GS)
kommt in der Fotografie eine ganz entscheidende Bedeutung zu.



a) Was ist der Goldene Schnitt?

Wir schreiben das Jahr 300 v.Chr.

Griechische Mathematiker beginnen damit, die Welt durch Zahlen darzustellen
und sind davon überzeugt, dass sich alles mit Brüchen aus ganzen Zahlen berechnen lässt.
Selbst die Kreiszahl pi ist für sie einfach nur 22:7. Nicht ganz richtig,
aber mit einer Abweichung von nur 0,05% schon erstaunlich nahe dran. :daumen:

Umso mehr gerät das bestehende Weltbild der Griechen ins Wanken,
als ein Kollege namens Euklid feststellt, dass sich die Proportionen des Pentagramms
frecherweise jeder ihm bekannten Bruchrechnung entziehen!

Er findet das unerhört! :krawallo:

Schließlich ist dieser fünfzackige Stern in jener Zeit
so etwas wie ein magisches Symbol für System und Ordnung.
Also macht er sich frisch ans Werk und findet alsbald heraus,
wie sich die einzelnen Teillinien zueinander verhalten.

Nämlich so:

0047
[Bild: 2744825.jpg]
Pentagramm des Euklid


Euklids Berechnungen nutzte später auch Leonardo da Vinci
zur Konstruktion seines berühmten "vitruvianischen Menschen".
Und siehe da: viele Körperproportionen entsprachen
(mit individuellen Abweichungen) ebendiesen Längenverhältnissen.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts erkannten dann
immer mehr Künstler und Gelehrte die Proportionen
als ästhetisches Ausdrucksmittel, nannten die Entdeckung „Goldener Schnitt“
und erkoren diesen sogleich zum Maßstab für gestalterische Harmonie.

Wissenschaftler haben in der Neuzeit viele Parallelen dazu gefunden,
z.B. das Goldene Rechteck, den Goldenen Winkel oder die Goldene Spirale
(welche keine Verhütungsmethode für Millionäre ist, sondern ein geometrischer Logarithmus MrGreen).
Sie alle folgen einem bestimmten mathematischen Prinzip, das außer in der Bildenden Kunst auch in
Architektur, Musik, Informatik, Humanbiologie, Botanik und Festkörperphysik Anwendung findet.

Die Konstante des GS taucht sprichwörtlich auf Schritt und Tritt überall dort auf,
wo es um Naturgesetze geht, und zieht sich wie ein roter Faden durch alles,
was mit lebenden, optischen und mathematischen Proportionen zu tun hat.


Selbst die Pflanzenwelt, das Tierreich und sogar der Mensch ist
nach diesen Regeln gebaut. Viele Proportionen am und im Körper
weisen ein Verhältnis zueinander auf, das dem GS entspricht.
Zum Beispiel das Verhältnis von Kopfhöhe und –breite, Ober- und Unterarm,
Augenform, Fingergliedteilung usw. Dabei gelten anatomische Fixpunkte als Messstelle,
individuelle Abweichungen sind natürlich möglich und notwendig,
sonst würde wir ja alle gleich aussehen. ;-)

In weniger lustigen Zeiten der jüngeren Vergangenheit haben sich
sogenannte „Wissenschaftler“ bekanntlich ebenfalls mit der Vermessung
des Menschen beschäftigt und dabei den GS leider als Maßstab für
(ihrer Meinung nach) anständig konstruierte Lebewesen missbraucht.

Auf dieses Niveau wollen wir uns natürlich nicht begeben! :beleidigt:
Es sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, um zu sehen, wie ernst
dieses Grundprinzip der Natur seit seiner Entdeckung sowohl von seriös motivierten
als auch von ideologisch fehlgeleiteten Leuten genommen wird.



b) Wie definiert sich der Goldene Schnitt?

Nehmen wir eine Strecke mit den Endpunkten A und B, und dazwischen liegt ein Punkt X.

0048
[Bild: 2109097.jpg]

Wenn der Punkt X die gesamte Strecke in den Goldenen Schnitt unterteilen soll,
dann darf er natürlich nicht irgendwo liegen, sondern exakt so,
dass der Quotient aus AB und AX ebenso groß ist wie der aus AX und BX.

In Worten:
Das Längenverhältnis der blauroten Gesamtstrecke zum langen blauen Abschnitt muss genauso sein
wie das Längenverhältnis des langen blauen Abschnitts zum kurzen roten Abschnitt.

Dann gilt die folgende Formel:

0049
[Bild: 2109098.jpg]

Diese Zahl steht immer für das Verhältnis von Strecken
oder Flächen zueinander, die im GS geteilt wurden.

Niemand muss sich die genaue Zahl merken! :icon_troest:

In der Fotografie reicht es vollkommen aus, wenn Du Dich daran erinnerst,
dass der GS eine ungefähre Aufteilung nach dem „Drittelprinzip“ bedeutet.
Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob Du mit 60:40, 70:30
oder genau mit 66,66... : 33,33.... teilst.
So exakt wirst Du Deine Bilder sowieso nicht ausrichten können.



c) Wie wirkt sich der Goldene Schnitt in der Fotografie aus?

Der GS wohnt in uns Menschen wie ein unsichtbarer Taktgeber
für ästhetisches Fühlen im Unterbewusstsein.
Alles, was so aufgeteilt ist, empfinden wir als harmonisch und ausgewogen.

Ausgewogen heißt in diesem Zusammenhang eben nicht „in der Mitte“
wie bei einer Waage, die sich im Gleichgewicht befindet!


Für einen harmonischen Gesamteindruck braucht es vielmehr eine gewisse Asymmetrie,
die das Bild nicht gleichförmig gliedert, sondern Akzente setzt.

Zunächst stellst Du Dir beim Fotografieren ein Gitter
aus zwei waagerechten und zwei senkrechten Linien vor,
das Du in den Ausschnitt des Suchers legst.
Dort wo die Linien sich überschneiden,
sollten beim Goldenen Schnitt die Schwerpunkte des Motivs liegen.

0050
[Bild: 2109284.jpg]

Im rechten Bild siehst Du folglich, wo nach der Regel des GS

Arrow das Hauptmotiv oder der Schwerpunkt Deines Fotos positioniert sein sollte (grün),

Arrow wo es besser nicht liegen sollte (rot),

Arrow und wo es keinen Schaden anrichtet, aber auch nicht wirklich begeistern wird (gelb).

Bitte nicht millimetergenau nachmessen – die Farbmarkierungen
sollen ja nur einen ungefähren visuellen Überblick geben! ;-)

Als Bildschwerpunkt kommt dabei nicht nur ein einzelnes Objekt in Frage
und nicht nur ein Bildteil im Vordergrund.
Es kann je nach Bild so ziemlich alles sein: ein Mensch, Tier oder Gegenstand,
eine auffallendes Landschaftsmerkmal (Graben, Hügel, Bach, Mulde, Lichtung, Hain...)
eine farbliche Trennung verschiedener Bildbereiche und selbst ein
übergeordnetes Element wie z.B. der Horizont oder die Uferlinie am Meer.

Spannend wird es, wenn auf Deinem Bild mehrere Elemente zu sehen sind,
und alle sollen sie eine eigene und bedeutsame Aussage besitzen.
Selten sind sie gleichrangig, also musst Du selber entscheiden,
worauf Du das Hauptaugenmerk lenken willst.

Es gibt neben der Objektfotografie eigentlich nur
eine einzige grundsätzliche Ausnahme vom Goldenen Schnitt.
Und zwar dann, wenn Du eine Szene hast, die bereits von Natur aus
eine absolut mittige Symmetrie aufweist und Du sie durch die mittige Ausrichtung
zusätzlich betonen möchtest, weil sie inhaltlich von Bedeutung ist.

Diesen Spezialfall werden wir uns in Kapitel 3 noch genauer anschauen.

So Leute - es tut mir ja herzlich leid,
aber beim posten merke ich, dass mir die Zeichenbegrenzung
wieder mal ein Schnippchen schlägt Rolleyes

Wir sehen uns also im Kapitel 2, Teil II. wieder...


_____________________________________________________________________________________________


Für alle Neu- und Quereinsteiger:
Link zum Vorwort und Inhaltsverzeichnis


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#2
Arrow. Hier in diesem Thread bitte nur Fragen, Kommentare, Anregungen,
... Kritik usw. posten, die sich direkt auf dieses Kapitel beziehen!

Arrow. Wenn Ihr etwas Allgemeines zu dem gesamten Machwerk
...."Bildaufbau und -gestaltung" loswerden möchtet, dann steht Euch
....im Thread "Vorwort" aller Platz der Welt zur Verfügung.

....Durch diese Trennung von allgemein und sachbezogen helft Ihr,
....den gesamten Beitrag für alle Leser übersichtlich zu halten.


Gruß,
Hans
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