06.03.2014, 19:02
[SIZE="5]Impressionen... Willkommen in der schönen neuen Welt von morgen![/SIZE]
[SIZE="4]Früher war mehr Lametta[/SIZE]
[SIZE="4]Früher war mehr Lametta[/SIZE]
Vor einiger Zeit hatte ich einen Auftrag in [B]Troyes, das liegt in Frankreich.
Und zwar mittendrin, d.h. eigentlich mehr rechts oberhalb der Mitte, also ost-süd-östlich von Paris.[/B]
Egal.
Jedenfalls liegt es weit genug entfernt von allen Grenzen,
so dass der Franzose hier noch ungestört von europäischen Einflüssen
hemmungslos das sein kann, was er am liebsten ist: Franzose.
Wer nun glaubt, der Franzose verbringt - wie wir es in der Schule gelernt haben - seinen Tag damit,
sich das Baguette unter die schweissnasse Achsel zu klemmen und mit einem Anisschnaps im Bistro
dem Akkordeonspiel der Clochards zu lauschen... der irrt.
Und so irrte auch ich, als ich mich am Wochenende hinunter in die Altstadt begab.
Ein recht hübsche Altstadt übrigens, voll von diesem speziellen Fachwerk, für das die Gegend bekannt ist.
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Manchmal geht es ein wenig eng zu...
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... dafür ein paar Meter weiter um so bunter und lustiger:
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.Zurück zu unserem Franzosen.
Der tut vieles von dem, was man vom ihm erwartet
oder bei einem Besuch des Landes beobachten kann.
Zum Beispiel errichtet er geschmackvolle patriotische Denkmäler
und kümmert sich darum, dass sich seine Übernachtungsgäste
in gepflegten Hotels der Spitzenklasse so richtig gediegen wohlfühlen:
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Vor allem aber macht er eins: er konsumiert!
Nun ist Konsum ja nichts Unanständiges, ganz im Gegenteil.
Und in Troyes gibt es wirklich herzallerliebste Geschäfte, die... HUCH, ein Schnäppchen:
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Und hier, guck mal, noch eins...
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... und noch mehr:
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Und da... und dort... und überall...
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Is' denn hier Ausverkauf?
Jetzt, mitten im Jahr?
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"Ah non, ça c'est normal...", erklärt mir ein Einheimischer, "... tous les jours, toute l'année!"
Ein vollkommen normaler Ganzjahresblödsinn also.
Und wenn ich mehr davon wolle, solle ich nach Saint-Julien-les-Villas gehen,
da gibt es ein großes Outlet-Einkaufsgebiet.
Oder noch besser nach Pont-Sainte-Marie, da hat's gleich zwei davon!
Und zu beiden sind es mit dem Auto nur wenige Minuten - wie praktisch.
.Nun denn: auf ins Getümmel!
Auf einigen Wegweisern nach Pont-Sainte-Marie,
einem ehemals verschlafenen Dörfchen vor den Toren der Stadt,
das mittlerweile eingemeindet und von Fertighaussiedlungen und Gewerbegebieten erwürgt wurde,
ist auch die Abkürzung "Pont S.M." zu lesen.
Und in der Tat sollte man das wörtlich als "Brücke zum Sadomaso" übersetzen,
denn wer freiwillig hier her kommt, der braucht ein gerüttelt Maß an Abgebrühtheit und Schmerzunempfindlichkeit!
Hier regiert nicht einfach nur König Geiz der Geile...
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... nein, hier tobt die ultimative Entscheidungsschlacht um Cash-Card und Prozente
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Ohne Rücksicht auf Verluste oder Augenkrebs wird um jeden Zentimeter Werbefläche gerungen
und, so eine solche nicht mehr auftreibbar, das eigene Geschäft mit visueller Marktschreierei
solange zugekleistert, bis der Kunde den Eingang schier nicht mehr findet.
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Nur mal kurz zur Erinnerung:
so kann Troyes auch aussehen...
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Wenn es will.
Will es aber nicht :tease:
Denn vorbei sind die glücklichen Zeiten, als sich schnurrbärtige Baskenmützenträger
zwischen Gaulloise und Le Figaro im Laden um die Ecke trafen und mit hochgezogenen Augenbrauen
wild gestikulierend über die Vorzüge ihres "Freundes" gegenüber dem deutschen Käfer diskutierten
und sich Weinhändler noch eigenhändig um die Dekoration ihres Ladens kümmerten.
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Ein hoffnungsloses Weichei heutzutage, wer am Nachmittag schon die Shoppingsegel streicht
und nicht willig ist, dem Lockruf fünfundneunzig weiterer Tempel im benachbarten Center zu folgen!
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Denn da gibt es gar Wundervolles zu entdecken und zwar:
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Nur der sonntägliche Busfahrplan gebietet dem hemmungslosen Treiben Einhalt...
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... denn da ist die Konsummeile halb so charmant
und doppelt so tot wie ein abgenagter Suppenknochen:
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Schlimm schlimm, diese Franzosen
Dumm nur, dass es in Belgien auch nicht viel anders aussieht:
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Und was machen wir in Deutschland?
Wir erweisen uns als gute Europäer
und schaffen unsere Sprache ab!
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Bauch leer?
. . .Wir gehen in die Nahrungsmittelecke.
Haare lang?
. . .Ab in den grundlegenden Haarladen.
Und auch der Herr vom Gebrauchtwarenhandel sollte erst mal ins Wörterbuch gucken,
bevor er seine Kaschemme "Bargeldzusammenbruch" nennt.
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Wobei man ihm zu Gute halten muss,
dass er den Firmennamen lediglich der Optik angepasst hat...
Ist es schon ein Zeichen der Rückbesinnung,
wenn sich dieser Teigkneter wieder seiner deutschen Berufsbezeichnung erinnert...
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... oder nur der Tatsache geschuldet, dass die internationale Version bereits vergeben war,
und zwar durch den Kollegen direkt nebenan?
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Aber es gibt Hoffnung in Form von Geschäftsleuten, die erstaunlicherweise festgestellt haben,
dass Charme und Umsatz, Tradition und Geldverdienen keine Gegensätze sein müssen:
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Und dass "altmodisch" alles andere als langweilig sein muss,
hat sich auch schon herumgesprochen:
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Sogar in Frankreich ;-)
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Also üben wir Geduld mit all den ach so Kreativen...
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... die lieber die Phantasie ihrer Texter und PR-Agenturen zur Schau stellen:
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Oder würden Sie etwa das Weihnachtspäckchen für Tante Gerda
einem Paketdienst mit "Erneuerungsmittelpunkt" anvertrauen?
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Na sehen Sie!
In diesem Sinne:
herzlich willkommen in der schönen neuen Welt von morgen!
Gruß,
Hans