07.06.2008, 22:13
[SIZE="6]6. Aufnahmestandort und Perspektive[/SIZE]
[SIZE="4]
Alles eine Frage der Sichtweise
[/SIZE]Bevor sich zwei die Köppe einschlagen, ist es manchmal hilfreich,
wenn jemand die Streithähne beruhigt, indem er etwas Schlaues sagt:
"Alles eine Frage der Sichtweise!"
Damit wahrt jeder sein Gesicht, keiner hat Recht oder Unrecht, und alle sind wieder friedlich...
..Stimmt ja auch:
.....wie eine Sache ausschaut, hängt nicht zuletzt davon ab,
.....von welchem Standpunkt aus man sie betrachtet.
Das Gleiche machst Du beim Fotografieren:
Du hast einen Standpunkt, und von dem aus
betrachtest Du das Motiv und nimmst es auf.
.....Bleibt die Frage:
.....ist das auch wirklich immer der optimale Standpunkt,
.....und ist es immer die jeweils beste Sichtweise?
Fotos entstehen leider oft nach dem beliebten 3-Schritte-Prinzip:
[SIZE="4]1.[/SIZE] Entdecken
[SIZE="4]2.[/SIZE] Zielen
[SIZE="4]3.[/SIZE] Abdrücken
Der Gedanke, der dahinter steckt, ist ebenso naheliegend wie falsch:
- hier bin ich...
- dort ist das Motiv...
- dazwischen lege ich Kimme und Korn – Waidmannsheil!
Wenn Du nicht gerade Teelichte auf dem Küchentisch fotografierst,
die Du willenlos hin und her schieben kannst, hast Du natürlich erst mal Recht:
der Springbrunnen, das Denkmal, die Kirche - solche Motive
stehen fest gemauert in der Erden und rühren sich nicht vom Fleck.
„Folglich werde ich sie wohl so aufnehmen müssen, wie sie sind, oder?“
Aber Du? Bist Du auch festgewachsen??
Seit Erfindung von Seitenscheitel, Dauerwelle und Leberfleck
hat jeder Mensch seine berühmte „Schokoladenseite“.
Bei Kleinkindern ist das diejenige, wo sie den Schokopudding
auf die Wange gekleckert haben – bei Erwachsenen die,
von der sie vermeintlich viiiiiiiiel fotogener und attraktiver ausschauen. :roll:
:!: .Auch Deine Motive haben eine Schokoladenseite,
.....Du musst sie nur entdecken.
.....Also marschierst Du los, einmal drumrum.
Beim Mount Everest könnte das zur Lebensaufgabe ausarten,
da gibt man sich üblicherweise mit der Ansicht vor Ort zufrieden.
Bei handlicheren Motiven bieten sich da schon mehr Möglichkeiten.
0085
Für dieses Bild habe ich beide Male ohne großes Tamtam abgedrückt.
Konzentrieren wir uns also auf den Blickwinkel.
[SIZE="4]->[/SIZE] Bei der linken Aufnahme war der Gedanke:
.....„Hach, was’n schöner alter Stein... und dann noch
.....diese herrlich verwitterte Platte mit der Inschrift...!“
[SIZE="4]->[/SIZE] Auf der rechten Variante ist das alles immer noch vorhanden.
....Schon der unterschiedliche Blickwinkel erzeugt mehr Tiefe und Räumlichkeit.
....Das Grabmal wirkt nicht mehr wie ein isolierter Fremdkörper.
....Dass gleichzeitig die hässliche Mauer verschwunden ist, erfreut ebenso ;-)
Überhaupt sind historische Gemäuer immer wieder ein gern genommenes Motiv.
Wird so ein Bau gerade renoviert und an der einen Seite durch ein Baugerüst verschandelt,
wirst Du Dir die Sache automatisch von der anderen Seite betrachten.
Was liegt also näher, als genau das immer zu tun - auch ohne Baugerüst!
Vielleicht stellst Du dabei sogar fest, dass sich dort die bunteren Fenster,
die reichhaltigeren Verzierungen oder ein schöner Vorbau befinden.
Um die an dieser Stelle unvermeidlichen Witzchen zum Thema „Vorbau“
hinter uns zu bringen, sei allen Herren folgender Tipp mit auf den Weg gegeben:
umrunden Sie beim nächsten Gruppenbild mit Dame doch mal Ihre Gattin!
Ein schöner Rücken kann nämlich auch entzücken...
Auf dem folgenden Foto hast Du es mit einem typischen Beispiel
aus der Abteilung "Faul gewesen - Bild versaut" zu tun. :erschreck:
0086
Das kommt davon, wenn man sich auf dem Balkon bei Milchkaffee und Erdbeerkuchen
mal eben kurz umdreht und ganz komfortabel vom Stuhl aus fotografiert...
Der Vorteil von blühenden Rosen im Garten ist zwar,
....dass sie sich als Fotomotiv auch nach Jahren nicht abnutzen.
Der Nachteil jedoch: mit wucherndem Gestrüpp,
....einer Gartenmauer sowie der Garagenecke auf dem Bild
....bleibt vom Flair des Röschens nicht mehr viel übrig...
Also erheben wir uns schwerfällig, begeben uns vom Balkon
hinunter in den Hof und machen ein zweites Bild:
0087
So schaut das schon etwas freundlicher aus.
Trotzdem ist da immer noch zu viel Unruhe im Bild,
und nach wie vor stört die Garage.
Tabula rasa! Letzter Versuch, jetzt oder nie...
0088
Siehe da: kaum haben wir uns ein paar Meter weiter bequemt
und die Ranken schräg von unten angepeilt, bekommen wir
die schönsten Blüten mit einer dezenten Portion Grünzeug.
Und das Ganze auch noch dekorativ vor blauem Strahlehimmel! :freude:
.Fazit: damit Du erkennst, von welchem Standort aus
.....sich Dir das Motiv am vorteilhaftesten erschließt,
.....musst Du unter Umständen mehrere Standorte ausprobieren.
Die Freude über ein wirklich gelungenes Bild
(oder aber der Ärger über ein misslungenes)
dauert Jahre und Jahrzehnte!
Das Umrunden einer Kirche zwei Minuten...
Zum nächsten Bild kurz eine Info:
zwischen der gezeigten Szene und mir lag eine gut befahrene Hauptstraße,
die zu überqueren war mir zu mühsam,
also stand ich ca. 30 m entfernt und habe entsprechend gezoomt.
So, und nun schaust Du Dir bitte mal die Aufnahme an und sagst mir,
was in diesem Kuddelmuddel denn nun mein eigentliches Motiv war:
0089
Nein, sorry - die Radler sind es nicht :icon_troest:
Ich wollte das Kriegerdenkmal im Hintergrund ablichten,
aber das ging wohl heftig in die Hose.
[SIZE="4]>[/SIZE] zu weit weg,
[SIZE="4]>[/SIZE] störender Vordergrund,
[SIZE="4]>[/SIZE] ungünstiger Aufnahmewinkel,
... mit anderen Worten:
mein Standort war so richtig sch...lecht! :oops:
Also nix wie über die Straße und einen besseren Standort suchen.
Und dabei ergaben sich gleich drei mögliche Positionen,
die bei näherem Hinsehen zu recht unterschiedlichen Ergebnissen führten,
obwohl sie räumlich gesehen sehr eng beieinander lagen:
0090
[SIZE="4]Bild 1[/SIZE] zeigt den Aufnahmestandort,
den die meisten von uns wohl automatisch einnehmen würden:
vors Motiv stellen und draufhalten.
Dabei zeigt sich leider, dass rechts neben dem Helden
ein hässlicher Strommast hervorlugt.
Zudem ist die Ansicht platt und ohne Tiefenwirkung.
Dafür hebt sich die Statue klar und deutlich vom Himmel ab - auch nicht unwichtig.
[SIZE="4]Bild 2[/SIZE] verrät Mut zum Außergewöhnlichen
und einen gewissen Sinn für Raumgestaltung.
Die Perspektive lässt das Denkmal mächtig in die Höhe wachsen,
wir haben ein Stück der Kirche mit drauf und den Vordergrund
mit Blümchen aufgelockert, und der Zaun ums Denkmal ist schön
assymetrisch im Goldenen Schnitt geteilt. [SIZE="1](Da isser mal wieder, der GS... ;-))[/SIZE]
In dem betont tiefen Aufnahmewinkel liegt aber auch gleichzeitig das Manko des Bildes,
denn das Gesicht ist kaum noch zu erkennen. Außerdem liegt es direkt vor dem Baum.
[SIZE="4]Bild 3[/SIZE] schließlich ist ein ordentlicher Mittelweg,
bei dem man nichts falsch machen kann, der aber auch nicht wirklich überzeugt.
Der Soldat kommt gut raus und ist plastisch deutlich abgebildet.
Davor, mit der ähnlichfarbigen Kirche zu verschmelzen, rettet ihn
jedoch nur die günstige Sonneneinstrahlung, die ihm Konturen verleiht.
Übrigens: auch wenn Du die Radler nicht mehr siehst -
sie waren immer noch da und haben hinter mir munter palavert!
Alles eine Standortfrage... ;-)
Du siehst schon jetzt, dass sich der Aufnahmestandort
wie jeder Punkt in einem dreidimensionalen Raum bewegt:
oben/unten
links/rechts
vor/zurück
Standortwechsel heißt also nicht nur, dass Du einmal drumrum
marschierst oder ein paar Schritte zur Seite gehst.
Genauso wichtig kann die Frage nach der Höhe über dem Boden sein [SIZE="1](auf die wir später noch kommen)[/SIZE]
sowie Dein Abstand zum Motiv [SIZE="1](was einem anderen Kapitel vorbehalten bleibt)[/SIZE].
Unser Kriegerheld oben hat uns gezeigt,
dass zum Standort auch die Perspektive gehört.
Dazu noch ein Beispiel,
aber vorher bitte ein bisschen scrollen... ;-)